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"Artists and Scientists in Residence" am ligeti zentrum
Bewerbungsfrist: 03. Dezember 2024
Das “Artists and Scientists in Residence”-Programm am ligeti zentrum geht in die dritte Runde.
Wir laden Künstler:innen und Wissenschaftler:innen ein, im Zeitraum von März bis Mitte April 2025 ein interdisziplinäres künstlerisch-wissenschaftliche Projekt am ligeti zentrum zu realisieren. In enger Verzahnung mit den am ligeti zentrum ansässigen labs sollen dabei Schwerpunkte auf die experimentelle Arbeit mit am ligeti zentrum entwickelten Technologien gelegt werden.
Die Technologien:
1. Die Impulse Pattern Formation (IPF)
Im Projekt Cyberinstruments / Cybermusician untersuchen wir, wie sich dynamische und komplexe Strukturen in musikalischen Systemen beschreiben und verstehen lassen. Ein Schwerpunkt unserer Forschung ist die sogenannte Impuls Pattern Formulation (IPF), eine nichtlineare aber dennoch übersichtliche mathematische Gleichung (Weitere Informationen hier). Ursprünglich wurde die IPF entwickelt, um die dynamischen Wechselwirkungen innerhalb beliebiger Musikinstrumente zu modellieren und zu analysieren. Es hat sich herausgestellt, dass die IPF auch außerhalb eines musikalischen Kontextes eingesetzt werden kann: Sie eignet sich dazu, das Verhalten beliebiger, gekoppelter, sich selbst organisierende Systeme zu beschreiben, beispielsweise das gemeinsame Musizieren einer Gruppe von Musiker:innen.
So ergeben sich unterschiedliche Möglichkeiten wie die IPF in künstlerische Projekte eingebunden werden kann:
Als zentrales klangerzeugendes Element
Die Impuls Pattern Formulation (IPF) kann als eigenständiger Synthesizer verwendet werden oder als virtuelle Erweiterung bestehender Instrumente – ähnlich einem Effektgerät. So lassen sich in einem freien Ansatz völlig neue Klänge gestalten oder Elemente verschiedener Instrumente miteinander kombinieren. Als physikalisches Modell ermöglicht die IPF nahezu unbegrenzte Artikulationsmöglichkeiten und bringt das Sounddesign vom Bildschirm zurück an das Instrument.
Künstler:innen können auf Synthesizer zurückgreifen, die speziell am ligeti zentrum entwickelt wurden und sie an die eigenen Bedürfnisse anpassen. Denkbar ist auch die Programmierung eigener Anwendungen mit zB PureData oder MaxMSP.
Ein Beispiel für eine Performance, deren Sounds ausschließlich durch die IPF erzeugt wurden, ist hier zu hören: Grundlegende Skripte zur Klangerzeugung mit der IPF stehen für eigene Experimente auf GitHub bereit.
Als virtuelle:r Musiker:in
Mit der IPF lassen sich auch interaktive Systeme gestalten, die direkt auf den Input von Musiker:innen reagieren und selbständig Rhythmen, Tonhöhen oder sogar ganze Melodien und Akkordfolgen generieren. Im Gegensatz zu KI-basierten Ansätzen, die auf Trainingsdaten basieren und oft Durchschnittswerte des Verhaltens wiedergeben, ermöglicht die IPF als physikalisches Modell ein flexibles und individuelles Design: Mit nur wenigen Parametern kann das gewünschte – und hoffentlich neuartige und musikalisch spannende – Verhalten präzise eingestellt werden.
Auch Hybridanwendungen sind möglich, die analoge physikalische Systeme, wie z.B. große, chaotische Pendel oder Aktuatoren, mit digitalen IPF-Modellen kombinieren. Eine erste Umsetzung dieser Ideen ist die „DanceBooth“, die unter anderem im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg und auf den Tanzfusionen 2024 in Greifswald ausgestellt wurde. Hier passt sich das musikalische Tempo dynamisch unter anderem dem Bewegungsrhythmus der Tänzer:innen an. Weitere Informationen zur DanceBooth gibt es hier.
Ansprechperson: Simon Linke – Simon.Linke@haw-hamburg.de
2. Der Hexenkessel
Der Hexenkessel ist ein multimediales Musikinstrument, das eine klassische Orchesterpauke mit Multitouch-Tracking-Technologie und eingebetteter Videoprojektion kombiniert. Im Gegensatz zu traditionellen akustischen Instrumenten, bei denen die Klangerzeugung untrennbar mit der physischen Konstruktion verbunden ist, fungiert der Hexenkessel als gestengesteuerte Schnittstelle für Computermusik und steuert Live-Elektronik, Klangsynthese und sogar die Bühnenbeleuchtung, ohne den ursprünglichen Klang und die Funktionalität der Pauke zu beeinträchtigen. Alternativ kann das System auch in ein Standard-Floortom als mobile und kostengünstige Lösung integriert werden.
Das preisgekrönte Hybridinstrument wurde in den letzten 15 Jahren mehrfach modifiziert und erweitert. Während der Hexenkessel immer noch ein experimenteller Prototyp ist, hat er sich zu einem zuverlässigen und vielseitigen Instrument für multimediale Bühnenauftritte entwickelt. Es wurden mehrere Stücke realisiert, die verschiedene kompositorische Paradigmen umsetzen.
Vorgeschlagene Residenz
Die Residenten sind eingeladen, neue Stücke für den Hexenkessel zu entwickeln. Dies beinhaltet die Entwicklung eines neuen musikalischen Konzepts, einer grafischen Schnittstelle und einer Audio-Engine. Das Interface könnte auch als Controller für die Klangverräumlichung im production lab des ligeti centers verwendet werden.
Anforderungen
Die Teilnehmer müssen ein hohes Maß an Fachkenntnissen in Max/MSP und insbesondere in Jitter nachweisen, um eine eigene Benutzeroberflächen und Audio-Engines für das Instrument zu entwickeln. Wesentliche Patches zur Kalibrierung und grafischen Entzerrung werden zur Verfügung gestellt.
Kontaktperson: Jacob Sello – jacob.sello@hfmt-hamburg.de
Weiterführende Literatur:
- Sello, J. (2016). The Hexenkessel: A Hybrid Musical Instrument for Multimedia Performances. In NIME’16 Proceedings, Griffith University, Brisbane, Australia.
3. Der record-o-mat
Der record-o-mat ist ein generativer Audio-Sampler. Er wurde 2019 entwickelt und ist spezialisiert auf sozial-künstlerische Anwendungsfelder. Eine Person, die mit dem record-o-mat interagiert, macht Audioaufnahmen, die auf einem Computer aufgezeichnet werden. Mittels der spezifisch programmierten Software werden diese fragmentiert und zufallsbasiert aneinandergereiht und überlappt abgespielt. Die live generierte Collage kombiniert die Audio-Fragmente kontinuierlich neu, wodurch immer neue (Un-)Sinnzusammenhänge entstehen. Die zuletzt aufgenommenen Dateien kommen in der generativen Komposition am häufigsten vor, sodass altes Audiomaterial verdrängt und ein zeitlicher Verlauf erkennbar gemacht werden kann. Seit der Realisierung der Projektidee in 2021 wird der record-o-mat in praktischen Einsätzen kontinuierlich weiterentwickelt. Es wird erprobt, wie z.B. durch Veränderung der materiellen Gestaltung, des Settings und der Intention des Einsatzes ganz unterschiedliche Ergebnisse erzielt werden können. Im Rahmen der Nutzung während der Residenz wäre es für uns besonders interessant, bestimmte Funktionsweisen und Anwendungen des record-o-mat aus unterschiedlichen Perspektiven zu explorieren und auszureizen.
record-o-mat – partizipative Installation: Der record-o-mat steht installiert in eine Telefonzelle unbetreut über einige Zeit im öffentlichen Raum. Alle zufällig Vorbeistreifenden werden eingeladen, einen Beitrag aufzunehmen. Außerhalb der Telefonzelle wird die aktuelle Komposition in Plauderlautstärke abgespielt. Als soziale Klangskulptur und Begegnungsort mischt und spiegelt der record-o-mat Momentaufnahmen all derer wider, die vor Ort mit dem record-o-mat interagiert haben. Erfahrungsgemäß hilft eine konkrete plakatierte Fragestellung mögliche Schwellen abzubauen. So wurde der record-o-mat bereits auch mehrmals als Umfragetool zur Bürger*innenbeteiligung eingesetzt. Für weniger platzintensiven Einsatz gibt es den record-o-mat inzwischen auch in Form “historischer” Telefonapparate mit Telefonhörer. Dieses Format wurde bereits in verschiedenen Kontexten als digitales Gästebuch oder Programmheft installiert (aktuell im Foyer des Malersaals im Hamburger Schauspielhaus).
record-o-mat on air – interaktives Radioformat: Dieser ortsunabhängige Aufbau lädt alle dazu ein, ihren Beitrag während der Sendung über einen Telefonanruf auf dem „Anrufbeantworter“ zu hinterlassen. Das Audiomaterial findet dann unmittelbar fragmentiert und zufallsbasiert im Live-Radiostream zusammen. Die monatlichen Sendungen bei TIDE-Radio stehen immer unter einem wechselnden Thema, einer spezifischen Fragestellung.
record-o-mat on stage – Musik und Storytelling: Dieses interaktive Bühnenformat besteht aus dem record-o-mat, einem Musiker/einer Musikerin/Vocal Performer und aus den live generierten Beiträgen der Besucher*innen. Über mobile Mikrofone und Aufnahmecontroller sind Gäste eingeladen, Aufnahmen zu bestimmten Fragestellungen aufzunehmen, die dann das Grundmaterial für die musikalische Live-Improvisation wird. In diversen Workshop-Settings bilden diese Grundideen den Ausgangspunkt, sich auf den Zufall einzulassen und ihn spielerisch für sich zu nutzen. Durch bestimmte Spielvereinbarungen werden unterschiedliche klangliche Ergebnisse erzielt oder Geschichten entwickelt. Die zufällige Fragmentierung der Aufnahmen stellt neue Sinneszusammenhänge her, die Kreativität begünstigen und Improvisationsimpulse anregen.
Kontaktperson: Joana Welteke – joana.welteke@haw-hamburg.de
Weitere Eindrücke: www.record-o-mat.de
4. Moving Sound Sources
Die fixed-media Komposition Turenas (1972) von John Chowning ist eine der wegweisenden Kompositionen der frühen Computermusik. Die sich bewegenden Klänge in diesem Stück schaffen ein fesselndes Hörerlebnis. Ursprünglich für 4 Kanäle geschaffen, erlebt der Hörer wahrnehmbare Bewegungen von Klängen im Raum, die völlig losgelöst von den Lautsprechern und ihrem Standort zu sein scheinen. Diese Erfahrung wird sogar lebendig, wenn man nur zwei Kanäle hört, John Chowning - Turenas - YouTube (zwei Lautsprecher aufstellen, nicht unbedingt in einem Stereo-Setup, den Sweet Spot verlassen und die Augen schließen). Grundlage von Chownings Komposition ist eine konstruierte Realität für die Zuhörer:innen und nicht ein konstruiertes räumliches Klangfeld. Entscheidende Parameter sind Intensität, das Direktschall-zu-Echo-Verhältnis, die entfernungsabhängige Klangfarbe und der Dopplereffekt. Der wohlverstandene Hör- und Konstruktionsprozess ist die Stärke dieses Konzeptes und auch der Grund, warum es keine Vielzahl von Lautsprechern oder präzise eingemessene 3D-Audioumgebungen benötigt.
Im ligeti zentrum haben wir von Turenas gelernt, die genannten Parameter zu kontrollieren, die schließlich eine solche räumliche Wahrnehmung für die Zuhörer:innen konstruieren. Für den Übergang von fixed media zur Live-Performance existiert bereits ein Max/MSP-Patch, mit dem gearbeitet werden kann.
Der Einsatz solcher Technologien in der Live-Performance schafft ein Feld von Überraschungen, Herausforderungen und Möglichkeiten. Wir würden uns freuen, wenn Fachleute diese Möglichkeiten erforschen würden.
Vorgeschlagene Residenz
Die Stipendiaten können solche Möglichkeiten für musikalische Darbietungen erforschen, oder sie möchten das Narrativ ihrer Komposition oder ihres Arrangements in den Raum erweitern.
Parameter für den Aufenthalt
- Bevorzugte Dauer des Aufenthalts: 3-6 Wochen
- Bereitstellung des erwähnten Max/MSP-Patches vor dem Aufenthalt
Kontaktpersonen: Robert Mores: robert.mores@haw-hamburg.de
Weiterführende Literatur
- Chowning, J. (2011). Turenas: the realization of a dream. In Journées d'Informatique Musicale.
- Chowning, J. M. (1971). The simulation of moving sound sources. Journal of the audio engineering society, 19(1), 2-6.
- Chowning, J. M. (1977). The simulation of moving sound sources. Computer Music Journal, 48-52.
Weiterhin ist es auch möglich, sich frei für eine Sound- oder Multimediaproduktion zu bewerben. Bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt die Jury die Neuartigkeit des Projektvoschlags, das Potenzial zur Zusammenarbeit mit den verschiedenen labs des ligeti zentrums und die fachliche Kompetenz der Bewerber:innen. Wir akzeptieren lediglich Bewerbungen von Einzelpersonen. Von den Residents wird ein Vortrag sowie die Präsentation der Arbeit und Ergebnisse am Ende der Laufzeit erwartet.
Bewerbung:
Was erwarten wir?
- Kontinuierliche künstlerische und/oder wissenschaftliche Aktivitäten in zu den jeweiligen ausgewählten Technologien verwandten Bereichen
- Einen kohärenten Projektvorschlag, der das Potenzial hat, innerhalb des vorgeschlagenen Zeitraums von 6 Wochen sowie mit den vorhandenen technischen Möglichkeiten finalisiert zu werden
- Der Projektvorschlag sollte neue Perspektiven (konzeptionelle Perspektiven, neue Produktdesigns, neue technische Ansätze usw.) aufzeigen.
- Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit den verschiedenen labs vor Ort
- Nach anfänglicher Einweisung selbstständige Arbeitsweise
Was bieten wir?
- Ein Stipendium in Höhe von insgesamt 2000€ netto für die Dauer der Residency, sowie eine Unterkunftspauschale in Höhe von 17€/Tag, sollte die ausgewählte Person nicht aus Hamburg kommen
- Grundlegende technische Unterstützung
- Motivierendes Arbeitsumfeld und kreativer Austausch.
- Professionelle Dokumentation der Veranstaltungen im Rahmen der Residenz.
Bewerbungsprozess
- Bewerbungen können auf Deutsch oder Englisch eingereicht werden.
- Das Bewerbungsformular kann hier eingesehen werden
- Der Einreichungszeitraum ist der 13. November bis 03. Dezember 2024. Die Frist läuft am 03. Dezember 2024 um Mitternacht (MEZ) ab. Später eingehende Bewerbungen werden nicht berücksichtigt.
- Die Autor:innen sind für den Inhalt der Bewerbung verantwortlich; unvollständige Bewerbungen können nicht berücksichtigt werden.
- Alle eingereichten Unterlagen werden vertraulich betrachtet und weder vom ligeti zentrum noch von Dritten ohne die Zustimmung der Bewerber:innen verwendet.
- Alle Bewerber:innen werden bis Ende Dezember über das Ergebnis des Auswahlverfahrens informiert.
Die Bewerbungen müssen die folgenden Elemente enthalten
- Ausgefülltes Bewerbungsformular
- Eine Projektbeschreibung (max. 4000 Zeichen)
- Beschreibung der Neuartigkeit des vorgeschlagenen Projekts
- Ein Motivationsschreiben (max. 4000 Zeichen), in dem das Interesse und die Bereitschaft zur Arbeit mit mindestens einer der vom ligeti zentrum bereitgestellten Technologien sowie Potenziale für die Zusammenarbeit mit den am ligeti zentrum angesiedelten labs dargelegt werden
- Ein kurzer Vorschlag für einen möglichen Workshop für Studierende und/oder Interessierte in Hamburg. Die Workshop-Formate können u.a. performative Vorträge, Software-Tutorials und Einführungen in neue Technologien beinhalten, sind aber nicht darauf beschränkt.
- Alle oben genannten Texte müssen vollständig in einem Bewerbungsformular vorliegen. Bewerbungen, die auf anderem Wege eingereicht werden, können nicht berücksichtigt werden.
Für weitere Informationen und Fragen möchten wir zunächst auf die Folien aus unserem Infocall via Zoom, der am 26. November um 17:30 Uhr (MEZ) stattfand hinweisen. Für weiterführende Fragen ist unsere Koordinatorin Nadine Schwalb unter ligetizentrum.residencies@hfmt-hamburg.de erreichbar.