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György Ligeti, ein Computermusikinstitut und das ligeti zentrum: 50 Jahre Ideengeschichte

Für das Computer Music Lab in Hamburg setzten sich neben György Ligeti auch eine Reihe von Unterstützer:innen ein | Foto: Paul Sacher Stiftung

György Ligeti, ein Computermusikinstitut und das ligeti zentrum: 50 Jahre Ideengeschichte

Das AI Lab an der Stanford University, das IRCAM in Paris – und ein Computer Music Lab in Hamburg. Wäre es nach György Ligeti gegangen, dann wär ein interdisziplinäres Institut für Computermusik schon in den 1970er-Jahren in Hamburg entstanden. Heute setzt das nach ihm benannte ligeti zentrum die Ideenimpulse des Komponisten in Hamburg-Harburg fort – und bietet erstmals Einblicke in die einstigen Bemühungen seines visionären Namensgebers.
ligeti Date:25 February 2015 Source:Own work
Foto: ligeti / 2015 / Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International license

Orchesterwerke wie „Atmosphères“ oder die Oper „Le Grand Macabre“ machten ihn zu einem der einflussreichsten Komponisten des 20. Jahrhunderts. Soundtracks von Filmklassikern à la „2001: Odyssee im Weltraum“ stellten ihn weltweit auch dem breiten Publikum vor. Die Rede ist von György Ligeti, dem österreich-ungarischen Komponisten, der von 1973 bis 1989 als Professor für Komposition an der HfMT tätig war und in Hamburg schon ab den 70er-Jahren die Einrichtung eines Instituts für Computermusik anstrebte. Wie kam es dazu? Was beschäftigte den Komponisten und spornte ihn an? Wie ging er vor?

Antworten auf Fragen wie diese finden sich in wissenschaftlichen Artikeln. Sind diese noch nicht geschrieben, so führt der Weg in Archive. Anfang Februar bricht der Musikwissenschaftler Dr. Fabian Czolbe deshalb nach Basel auf. In der Paul-Sacher-Stiftung, der größten Sammlung von Quellen zeitgenössischer Komponisten, warten zwei graue Kisten. Sie sind etwas größer als ein Aktenordner, rund zehn Zentimeter breit, gefertigt aus säurebeständigem Papier. Unter dem Titel „Projekt HH“ gleichen die Inhalte einer Wundertüte: Typoskripte, Briefe und Empfehlungen, persönliche Aufzeichnungen und handschriftliche Notizen, Skizzen, Texte von Musiktheoretikern und Mitstreitern, Werbeflyer, kritische Überlegungen zum Computer, seinen Potenzialen und Limitationen – Originaldokumente aus den 70er- und 80er-Jahren, mit denen sich zuvor noch niemand befasst hat. „Der Blick auf die Notizen ist ein besonderer“, berichtet Fabian Czolbe. „György Ligeti ist eine international geschätzte Persönlichkeit, der man mit Achtung begegnet. Doch dann sind da diese privaten Aufzeichnungen, die zunächst einmal nur für ihn selbst bestimmt waren …“

In vielen Schriften hielt György Ligeti seine Gedanken zu den Potentialen und Limitationen des Computers fest | Foto: Paul Sacher Stiftung

Ein Mäuschen auf den Schultern Ligetis

Das von Ligeti visionierte Institut für Computermusik wurde in Hamburg zu seinen Lebzeiten nicht errichtet. Doch darum geht es Fabian Czolbe nicht. Er möchte den Prozess verstehen. „Ich bin in diesem Moment wie ein Mäuschen, das auf der Schulter des Komponisten sitzt und seinem Ideenprozess zugucken darf.“

Ligetis Pläne und Überlegungen, so stellt sich heraus, gingen weit ins Detail. Er suchte und fand Verbündete. Er studierte das Verhältnis zwischen Kunst und Computern in wissenschaftlichen Diskursen und Tageszeitungen. „Ein Ordner enthielt tatsächlich ein Organigramm: zusammengeklebte Seiten, auf denen Ligeti eine Struktur und einen Handlungsplan aufmalte, um das Computermusikinstitut in Hamburg zu realisieren.“ Während das SAIL in Stanford als Blaupause diente, sollte Hamburg als europäisches Pendent fungieren. 1976 stellte der in Musikwissenschaft promovierte Tonregisseur und Mitstreiter Prof. Dr. Eckard Maronn schließlich einen entsprechenden Förderantrag bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG).

Immer auf dem Laufenden: Ligeti sammelte Broschüren und Informationsmaterial zu neusten technologischen Entwicklungen. Hier zum DMAX-1000 | Foto: Paul Sacher Stiftung
Immer auf dem Laufenden: Ligeti sammelte Broschüren und Informationsmaterial zu neusten technologischen Entwicklungen. Hier zum DMAX-1000 | Foto: Paul Sacher Stiftung

Ein Blick für Innovation und Netzwerkdenken

Während Ligeti und seine Verbündeten in Hamburg an strukturellen Hürden scheiterten, wurde in Paris 1977 das IRCAM gegründet – mit dem französischen Komponisten Pierre Boulez als künstlerischem Leiter und starkem Rückhalt von Politik und Mäzenatentum. Für viele Beobachter war das IRCAM genau das Institut, das Ligeti in Hamburg hätte schaffen wollen.

Im Angesicht der vermeintlichen Niederlage zollen die hinterbliebenen Dokumente heute Hommage an Ligetis Grundverständnis, zeichnen sie doch vor allem das Bild eines Netzwerkdenkers und Katalysators für Vorreiter und ihre Ideen. „Natürlich war György Ligeti auch überzeugt von sich“, räumt Fabian Czolbe ein. „Aber man merkt doch ganz oft in dieser Zeit, dass er sich dafür einsetzte, Ideen zu transportieren.“ Als Ligeti etwa nach Darmstadt eingeladen wurde, um dort zu referieren, war er bereit, die eigene Redezeit zu reduzieren. Seine Bitte: Man möge John Chowning einladen – was dieser in den USA gerade machte, würde für die Welt der Musik und Komposition enorm prägen. Er sollte Recht behalten.

Die Wanderausstellung „Computer Music Lab – Ligetis Vision eines Instituts für Forschung, Kunst und Vermittlung“ beleuchtet György Ligetis Pläne für Hamburg. Auftakt gibt eine Vernissage im ligeti zentrum
Die Wanderausstellung „Computer Music Lab – Ligetis Vision eines Instituts für Forschung, Kunst und Vermittlung“ beleuchtet György Ligetis Pläne für Hamburg. Auftakt gibt eine Vernissage im ligeti zentrum

„Computer Music Lab“: Rückblick und Anerkennung im ligeti zentrum

Mit der Eröffnung des ligeti zentrums entstand 2023 – fünf Jahrzehnte später – ein Ort, an dem Ligetis Denken weiterklingt und an dem zugleich neue Impulse für Interdisziplinarität und Transfer gesetzt werden können. Genau hier sollen die faszinierenden Einblicke in Ligetis Pläne für Hamburg und sein um die künstlerischen Möglichkeiten der Computermusik kreisendes Denken nun erstmals zugänglich gemacht werden. Die Wanderausstellung „Computer Music Lab – Ligetis Vision für Forschung, Kunst und Vermittlung“ – ein Gemeinschaftsprojekt der Agentur für Vermittlung und gesellschaftliche Teilhabe – startet am 28. Mai 2025 mit einer Vernissage im ligeti zentrum.