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Von Biokunststoff zu Sound: Die interdisziplinäre Kunst von Rafaela Pires und Adriano Monteiro
Das ligeti zentrum begrüßt Rafaela Blanch Pires und Adriano Claro Monteiro, Gastwissenschafter:innen der Universidade Federal de Goiás in Brasilien. Wir haben uns mit ihnen zusammengesetzt, um über ihre interdisziplinäre Arbeit mit Biokunststoff und ihre Pläne für ihren Aufenthalt im ligeti zentrum zu sprechen.
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ligeti zentrum: Sie beide sind Professor:innen an der brasilianischen Universidade Federal de Goiás. In welchen Bereichen arbeiten Sie?
Adriano Monteiro: Ich bin Komponist und Computermusikforscher, mein Hintergrund ist also ausschließlich die Musik. Während meiner Promotion forschte ich zunächst auf dem Gebiet der Musikanalyse und der systematischen Musikwissenschaft. Um zeitgenössische Musikaufnahmen zu analysieren, wendete ich dabei Algorithmen an, die Signalantworten des primären auditorischen Kortex modellieren. Seit einigen Jahren arbeite ich auch mit Multimedia und experimentiere mit Live-Visuals und Installationen. An der Universidade Federal de Goiás unterrichte ich Musikkomposition und forsche auf diesem Gebiet. Interdisziplinarität zwischen der Wissenschaft und der Kunst begleitet mich derweil seit meinem Studium. Fachübergreifende Kooperationen wie die jetzige mit Rafaela Pires habe ich schon immer begrüßt.
Rafaela Pires: Mein akademischer Hintergrund liegt im Bereich des Modedesigns. Während meiner Promotion in Design verbrachte ich ein Jahr an der Technischen Universität Eindhoven in den Niederlanden. Dort lernte ich das Wearable Senses Lab kennen, das an den Schnittstellen von Textilien und digitalen Technologien arbeitet. Im Rahmen meiner Doktorarbeit befasste ich mich daher mit digitaler Fertigung.
Heute arbeite ich als Professorin für Kostümdesign. Neben dem Kostümdesign selbst unterrichte ich außerdem im Bereich der Maskenbildnerei und der Requisiten. Meine Forschung berücksichtigt darüber hinaus auch Technologien und andere Disziplinen. Insgesamt ist meine Arbeit – insbesondere der szenografische Teil – enorm vielseitig.
Kunst und Technologien vereint
ligeti zentrum: Wie kam es zu Ihrer Zusammenarbeit?
Adriano Monteiro: Vor rund sechs Jahren wurden wir zu etwa derselben Zeit an der Universität angestellt und arbeiten dort im selben Department. Das Interesse an digitaler Technologie und an Computern hatten wir von Beginn an gemein, wobei wir es bis dahin aus der jeweiligen Sicht unserer Fachgebiete verfolgten.
Unsere erste richtige Kollaboration begann im Rahmen einer audiovisuellen Performance, an der ich damals arbeitete. Ich war noch dabei, das Stück zu entwickeln, aber die gleichzeitige Steuerung der Musik und der visuellen Elemente erwies sich als große Herausforderung. Schließlich bat ich Rafaela, mir zu helfen.
Rafaela Pires: Adriano ist es gewöhnt, auf der Bühne zu stehen. Ich bin normalerweise vor allem dahinter aktiv. Mir bot sich somit eine vollkommen neue Erfahrung.
Adriano Monteiro: Schlussendlich hat alles wunderbar geklappt: Wir spielen das Stück noch heute zusammen und haben es um eine Installation erweitert, für die Rafaela Skulpturen erstellt hat.
Rafaela Pires: Wir verwendeten Bilder aus Adrianos audiovisueller Arbeit und extrudierten sie, um Masken zu erstellen, die in 3D gedruckt und schließlich gegossen wurden. Die finale Installation umfasste viele verschiedene manuelle und digitale Prozesse.
Biokunststoff und Musik
ligeti zentrum: Ihr aktuelles Projekt trägt den Titel „De/Re:Generate“. Worum geht es dabei?
Rafaela Pires: Die Idee war, an unsere frühere Zusammenarbeit anzuknüpfen und unsere individuellen Arbeiten, die wir in der Zwischenzeit vorangetrieben hatten, zu verknüpfen: Adrianos audiovisuellen Werke und seine Arbeit im Bereich der Computermusik und meine Arbeit mit Biokunststoffen auf Basis von Cassava (Maniok), die ich im Bereich des Kostümdesigns und für Installationen verwende. Gemeinsam möchten wir eine anfassbare Benutzerschnittstelle, ein tangible user interface, aus biologisch abbaubarem Cassava-Biokunststoff herstellen.
„ICH BIN DAVON ÜBERZEUGT, DASS IM LAUFE UNSERER ZUSAMMENARBEIT MEHR ALS NUR EIN WERK ENTSTEHEN WIRD“
Adriano Monteiro: Im Sinne der künstlerischen Forschung hat sich der bisherige Entwicklungsprozess als sehr vielversprechend erwiesen. Anfangs wussten wir noch nicht, wie sich die verschiedenen Medien technisch und ästhetisch miteinander kombinieren lassen würden. Im praktischen Sinne möchten wir Kunstwerke kreieren. Das kann eine Performance, eine Installation oder auch beides sein. Ich bin davon überzeugt, dass im Laufe unserer Zusammenarbeit mehr als nur ein Werk entstehen wird.
ligeti zentrum: Wie gehen Sie dabei vor?
Rafaela Pires: Ursprünglich spielten wir mit dem Gedanken, ein Kostüm oder eine Requisite aus Biokunststoff zu entwerfen. Als Adriano begann, das Material hinsichtlich der Elektronik zu testen, wurde uns jedoch klar, dass ein greifbares Objekt, mit dem Menschen interagieren können, für eine erste Präsentation unserer Arbeit besser geeignet wäre. Später können wir das Material und die damit verbundenen Systeme übertragen und in weiteren Szenarien anwenden. Das betrifft die praktische Anwendung. Thematisch ließen wir uns von Zikaden inspirieren.
ligeti zentrum: Zikaden, die Insekten? Auf welche Weise?
Rafaela Pires: In unserer Heimatregion in Brasilien haben Zikaden einen sehr interessanten Lebenszyklus, der eng mit den Jahreszeiten zusammenhängt: Auf sechs Monate Trockenheit folgen sechs Monate Regen. Die Zikaden zirpen, wenn die Regenzeit beginnt. Eines Tages bemerkte ich die vielen Zikadenschalen an den Bäumen [Anmerkung: Beim Übergang ins Erwachsenenalter häuten sich die Zikaden und streifen das harte Exoskelett ab]. Besonders die Textur der Exoskelette faszinierte mich, denn die Ähnlichkeit zu Cassava-Biokunststoffen war offensichtlich. Von da an hat sich alles weiterentwickelt.
Interdisziplinarität und Transfer
ligeti zentrum: Als Gastwissenschaftler:innen sind Sie noch bis Ende Februar in Hamburg. Warum haben Sie sich für eine Zusammenarbeit mit dem ligeti zentrum entschieden?
Adriano Monteiro: Als Professor:innen steht uns neben der Lehre auch designierte Forschungszeit zur Verfügung. Dank unterschiedlicher Forschungsaufenthalte und Reisen lernten wir zuvor bereits Teile Österreichs, Hollands und Deutschlands kennen. Auch für diese Forschungsreise wollten wir gerne nach Europa zurückkehren und bewarben uns dafür um eine Förderung durch Ibermúsicas.
Da unsere Arbeit und unsere Interessen verschiedene Bereiche – Wissenschaft, Technologie und Kunst – miteinander verbinden, suchten wir explizit nach einem interdisziplinären Umfeld und nach Menschen mit unterschiedlichen akademischen Ausrichtungen. Wir wollten beides: unsere Ideen weiterentwickeln und mit verschiedenen Forscher:innen und Teams zusammenarbeiten. Der Masterstudiengang Multimedia Komposition an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg (HfMT Hamburg) war mir schon vorher bekannt. Als wir darüber hinaus von dem neu gegründeten ligeti zentrum erfuhren, schien die Gelegenheit perfekt.
„Da unsere Arbeit und unsere Interessen verschiedene Bereiche – Wissenschaft, Technologie und Kunst – miteinander verbinden, suchten wir explizit nach einem interdisziplinären Umfeld und nach Menschen mit unterschiedlichen akademischen Ausrichtungen“
ligeti zentrum: Welche Formen des interdisziplinären Austauschs haben sich bisher entwickelt?
Adriano Monteiro: Unsere bisherigen Erfahrungen sind sehr beeindruckend. Im Rahmen unserer ersten Vorstellung gegenüber dem Team des ligeti zentrums sprach ich über die elektrische Impedanztomographie (EIT). Die Messmethode wird üblicherweise bei der Entwicklung medizinischer Geräte eingesetzt – ich benutze sie ebenfalls bei der Entwicklung unserer anfassbaren Benutzerschnittstelle aus Biokunststoff. Im Forum des ligeti zentrums erfuhr ich, dass es hier ein Ingenieursteam gibt, dass sich speziell mit dieser Methode arbeitet. Dass ich zunächst einmal davon erfahren habe und jetzt mit dem Team in Kontakt bin, unterstreicht das Potential interdisziplinärer Interaktionen und Kollaborationen.
Aufgrund von Rafaelas Hintergrund im Kostümdesign haben wir uns auch mit dem Sustainable Theater Lab über nachhaltige Kostüme und theatrale Ansätze ausgetauscht. Und wir sind in Kontakt mit dem Haptics Lab und dem Innolab, dessen Teammitglieder sich wahrscheinlich besonders für die Entwicklung unserer neuen Benutzerstellen und deren Anwendung im Bereich der Musik interessieren.
ligeti zentrum: Dem Ideen-, Wissens- und Technologietransfer kommt im ligeti zentrum eine zentrale Bedeutung zu. Wie können interessierte Menschen mehr über Ihre Arbeit mit Biokunststoffen erfahren?
Adriano Monteiro: Neben unserer Abschlusspräsentation im ligeti zentrum (24. Februar 2025) bieten wir auch einen Workshop über Bio-Soft-Sensoren (17. Februar 2025) an. Im Rahmen des Workshops werden die Teilnehmenden mehr über Biokunststoff erfahren und praktisch lernen, wie man ihn herstellt und als interaktive Benutzerschnittstelle verwenden kann. Beide Termine sind öffentlich konzipiert – ungeachtet ihrer jeweiligen Vorkenntnisse sind alle herzlich dazu eingeladen.
ligeti zentrum: Vielen Dank für diese Einblicke. Wir freuen uns, mehr zu erfahren – und über Ihren Besuch bei uns im ligeti zentrum!
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