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Alles nur Illusion? Die Kunst hinter der Brille

Alles nur Illusion? Die Kunst hinter der Brille

Mit ihrem Projekt Moving Sound Pictures macht die klassisch ausgebildete Komponistin und Multimediakünstlerin Konstantina Orlandatou Kunstwerke auf vollkommen neuartige Weise zugänglich. Ihre aktuelle VR-Installation „Alles nur Illusion?“ ist noch bis zum 6. April in der Hamburger Kunsthalle zu erleben. Was zeichnet das virtuelle Erlebnis von Kunst aus – und wie geht die VR-Entwicklerin Konstantina Orlandatou vor, um dieses zu kreieren?

Normalerweise zieren Ölgemälde, Zeichnungen, Aquarelle, Grafiken, plastische Kunstwerke, Fotografien oder Videoinstallationen die Wände der Hamburger Kunsthalle. Nicht aber in diesem Raum der Sonderausstellung „Illusion. Traum – Identität – Wirklichkeit“. Rund drei mal drei Meter groß ist er. Die Wände sind größtenteils weiß – und leer. Zu sehen gibt es dennoch eine ganze Menge. Die Hilfsmittel, die vermeintlich Unsichtbares sicht-, hör- und greifbar machen, hängen an einem Bügel an der Wand: eine VR-Brille, Kopfhörer und Controller.

Ein Kunstwerk wird zum ‚realen‘ Raum

Wer eine VR-Brille zum ersten Mal überstreift und auch zu den Kopfhörern greift, mag im ersten Moment überwältigt sein von den vielen neuen Sinneseindrücken. Lässt der Anflug von Reizüberflutung nach, so rückt die Erkenntnis über vorherige Wahrnehmungen zurück an ihren Platz. Denn in dieser virtuellen Welt befinden sich Besucher:innen der Kunstausstellung noch immer in dem selben Raum, den sie soeben vermeintlich verlassen haben. In diesem aber hängen die virtuellen Replika von vier Kunstwerken: Kunstkammerregal(1666) von Johann Georg Hinz, Scala Regia im Vatikan (1667) von Wilhelm Schubert van Ehrenberg, La Campagna (1833) von Friedrich Wasmann und Blumenstillleben mit Vorhang (1671) von Jan van Rossum. Die Originale sind in anderen Räumen der Ausstellung zu besichtigen.

„Das Museum lebt von der Betrachtung analoger Kunstwerke“, erklärt Konstantina Orlandatou. Die Komponistin und Multimediakünstlerin aber arbeitet nicht im Bereich der bildenden Kunst. Sie macht Gemälde anderer Künstler:innen durch den Einsatz von XR-Technologien zugänglich und erlebbar. „In der virtuellen Realität kann man immersiv ins Gemälde eintauchen, was es zu einem besonderen, individuellen Erlebnis für Besuchende macht.“

Um vermeitlich Unsichtbares sichtbar zu machen, bedarf es ein paar technischer Hilfsmittel | Foto: Hamburger Kunsthalle

Das Museum lebt von der Betrachtung von analogen Kunstwerken. XR-Technologien ermöglichen eine andere Art der Kunstvermittlung und Betrachtung

Unter Aufsicht können Besucher:innen ihrer aktuellen VR-Installation „Alles nur Illusion?“ aus dem virtuellen Museumsraum in die vier Kunstwerke treten und mit darin integrierten Objekten interagieren. Das Besondere, so die VR-Entwicklerin: „Das Gemälde wird zu dem Raum, den die Besuchenden in dem Moment als den ‚realen‘ Raum wahrnehmen.“

Auch dass nur eine Person zurzeit die aufwendige Technik nutzen kann, wirkt sich aus. Wann schließlich bekommt man die Chance, vermeintlich alleine vor einem Kunstwerk zu stehen und wortwörtlich in dieses einzutauchen? Derweil können auch Museumsbesucher:innen im realen Raum das virtuelle Erlebnis der jeweiligen VR-Nutzer:innen verfolgen. Auf einem Bildschirm wird der entsprechende Blick durch die VR-Brille übertragen.

Aufmerksam bis ins Detail

Die Interaktion in der virtuellen Welt, hebt Konstantina Orlandatou hervor, ermöglicht eine neue Auseinandersetzung und eine neue Bindung zu einem Werk. „Die Wahrnehmung verändert sich deutlich in der erweiterten Realität, weil man die virtuelle Realität durch ihre komplette Immersivität für den Moment als reale, physikalische Umgebung wahrnimmt. Plötzlich ist der virtuelle Raum der ‚jetzige‘ Raum, in dem man sich bewegen kann.“

Indem sie nach einzelnen Elementen eines Gemäldes greifen, diese bewegen oder mithilfe der Controller gar auf ihnen musizieren, würden Besucher:innen der VR-Ausstellung einen nahezu mikroskopischen Blick entwickeln. „Oft bekomme ich von Besucher:innen zu hören, dass sie kleine Objekte im analogen Kunstwerk übersehen haben,“ eröffnet Konstantina Orlandatou. Kein Wunder: Hinz’ Kunstkammerregal wimmelt vor Kuriositäten, da lohnen sich die Perspektivwechsel umso mehr.

In Johann Georg Hinz' „Kunstkammerregal“ gibt es allerlei Kuriositäten zu entdecken | Foto: Kunsthalle Hamburg
In Johann Georg Hinz' „Kunstkammerregal“ gibt es allerlei Kuriositäten zu entdecken | Foto: Kunsthalle Hamburg

Die Wahrnehmung verändert sich deutlich in der erweiterten Realität, weil man sich in dem Moment, die virtuelle Umgebung als seine physikalische Umgebung durch der kompletten Immersivität wahrnimmt. Plötzlich ist der virtuelle Raum der ‚jetzige‘ Raum, in dem man sich bewegen kann

Auch van Ehrenbergs Scala Regia im Vatikan, die der flämische Künstler nach dem Vorbild des Originals malte, wirkt umso imposanter, wenn man sich mitten im Bild befindet – und der ohnehin lange Flur in der virtuellen Realität nie endet. Da sich Besucher:innen der VR-Installation natürlich noch immer im realen Raum der Hamburger Kunsthalle befinden und somit nicht „wirklich“ durch den schier endlosen Gang laufen können, arbeitet Konstantina Orlandatou mit auditiven Markern. Damit lassen sich nicht zuletzt auch die Menschen darstellen, die van Ehrenberg in seinem Gemälde darstellte. „Sie werden in der VR-Umgebung über die auditive Ebene durch Flüstern oder Schritte wahrnehmbar“, erläutert die VR-Entwicklerin.

Multimediale Interpretationen von Kunst

Damit Gemälde auf diese vielfältige und individuelle Art im virtuellen Raum erlebt und wahrgenommen werden können, bedarf es, so wird schnell deutlich, mehr als nur eine technologisch gestützte Abbildung des Originals. Stattdessen erfordert die multimediale Darstellung eines Kunstwerks im virtuellen Raum zunächst einmal die persönliche Interpretation – und schließlich die Übersetzung – von VR-Entwickler:innen wie Konstantina Orlandatou. „Es gibt diesen Spruch: ‚Ein Bild sagt mehr als tausende Worte‘.“ Wie also entziffert und vermittelt Konstantina Orlandatou diese unausgesprochenen Worte? „Immer wenn ich ein Gemälde sehe, versuche ich zu analysieren, was genau ich sehe. Was will mir das Gemälde ästhetisch vermitteln? Geht es um ein Porträt, um die Natur oder um abstrakte Formen? What is the message?“ Ihre ganz persönliche Interpretation versucht Konstantina Orlandatou stets auch mit der des Künstlers oder der Künstlerin abzugleichen. Dazu studiert sie Hintergrundinformationen über das gewählte Kunstwerk gleichermaßen wie über die Person selbst. „Diese Auseinandersetzung gehört zu dem künstlerischen Prozess; wie ich die Gemälde künstlerisch betrachte“, erklärt die VR-Entwicklerin. „Genau diese Betrachtung versuche ich zu realisieren und umzusetzen.“

Ein Bild sagt mehr als tausend Worte – what is the message?

Ganz im Sinne ihres Projektnamens Moving Sound Pictures berücksichtigt Konstantina Orlandatou in der Erstellung virtueller Welten verschiedene Dimensionen und Medien: Raum und Zeit, das Visuelle und Auditive. „Eine Komponistin erzählt eine Geschichte in einer Zeitlinie. Ein Maler erzählt eine Geschichte in einem Rahmen. Gemälde halten einen Moment fest; ein musikalisches Stück hingegen ist flüssiger.“ Indem sie das eine mit dem anderen kombiniert, bieten sich Besucher:innen ihrer VR-Installation noch tiefergreifende Erfahrungen. „Musik spielt eine große Rolle, weil sie eine andere Ebene der Expressivität zu der virtuellen Erfahrung beifügt. Musik überträgt Emotionen, die von den visuellen Elementen nicht unbedingt vermittelt werden.“

Wie sich das Ergebnis anfühlt, können Besucher:innen der Hamburger Kunsthalle noch bis zum 06. April 2025 hautnah erleben. Konstantina Orlandatous VR-Installation „Alles nur Illusion?“ ist dort im Rahmen der Sonderausstellung „Illusion. Traum – Identität – Wirklichkeit“ zu sehen und kann in der Regel von 11 bis 13 Uhr und von 14 bis 17 Uhr genutzt werden. Tickets für die Hamburger Kunsthalle können online sowie am Einlass vor Ort erworben werden.